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Vielleicht haben Sie von dem Fall gehört: Im April des Jahres 2019 wurde in den USA die 28-jährige Deutschrussin Anna Sorokin, eine Hochstaplerin, die sich Anna Delvey nannte und angab Millionenerbin zu sein, wegen Betrugs zu bis zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Neben Banken und Unternehmen waren auch Privatpersonen zu Schaden gekommen. Besonders hart traf es Rachel DeLoache Williams, der Anna Sorokin mehr als 62.000 Dollars schuldete. Ihre traumatischen Erlebnisse hat die junge Frau nun in ihrem Buch „My Friend Anna. Die wahre Geschichte, wie Anna Sorokin mich und halb New York aufs Kreuz legte“ beschrieben.
Es ist eine Erzählung von Freundschaft und Vertrauen, von Abhängigkeit und Manipulation, von Enttäuschung und skrupellosem Betrug – und von der Welt des schönen Scheins, der durch die heutigen sozialen Medien noch begehrenswerter glänzt. Rachel DeLoache Williams arbeitete in New York als Fotoredakteurin beim Hochglanzmagazin Vanity Fair und war den Kontakt mit Prominenten und Wohlhabenden gewöhnt, als sie die vermeintliche Millionenerbin Anna Sorokin kennenlernt. Schnell freundet sie sich mit dem It-Girl an, nimmt an deren High Society-Leben teil und springt vorübergehend bei der Zahlung eines luxuriösen Marokkourlaubs ein, als Annas Kreditkarte nicht funktioniert. Ein Fehler mit dramatischen Folgen. Als das Geld nicht zurückgezahlt wird, beginnt Rachel nicht nur an Annas Freundschaft, sondern auch an ihrer Identität zu zweifeln. Bei ihrer Recherche kommen Lügen und kriminelle Machenschaften ans Licht, am Ende ermittelt die Polizei.
Als Leser erlebt man die Geschichte aus der persönlichen Sicht der Autorin mit. Das ist spannend und man will unbedingt erfahren, wie es weitergeht. Allerdings ist es schade, dass die psychologisch höchst interessante Figur von Anna Sorokin unscharf und ihr Antrieb nicht wirklich nachvollziehbar bleibt. Dazu kommt, dass der zeitliche Aufbau des Buches in einer anderen chronologischen Reihenfolge noch packender gewesen wäre. Vielleicht hätte es der Story auch gut getan, wenn ein Schriftsteller von außen die Symbiose dieser unguten Freundschaft betrachtet und analysiert hätte. Denn zwar stellt sich die Autorin viele Fragen, aber das Geschehene hätte mehr Kritik an der modernen Gesellschaft, die medienfixiert und oberflächlich ist, verdient. So bleiben viele Fragen zurück: Sind moderne Social Media-Kanäle nicht geradezu perfekte Plattformen für Hochstapler? Und ist es heute nicht „normal“ den „schönen Schein“ zu posten, auch wenn er gar nicht oder nur zu einem kleinen Teil der Wahrheit entspricht? Dass darauf auch die Autorin reingefallen ist, wird Rachel DeLoache Williams nur zu oft – auch von Lesern – vorgeworfen. Dabei sollte man aber nicht vergessen, wer hier Opfer und wer Täter ist und ebenso, dass auch das berufliche Umfeld und die Tätigkeit der jungen Frau einen Beitrag zu dieser Entwicklung leistete.
Trotz aller Kritikpunkte ein anregendes Buch, das sich wie ein Krimi liest und zum Nachdenken über unsere Werte und wahre Freundschaft einlädt.
30. Dezember 2019
Wir wollen Geschichten erzählen, Kompliziertes erklären, fröhlich, mutig, witzig und Ohne viele Worte.
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