OvW Hörbuch Blog
Einer aus der Familie muss es gewesen sein, einer hat den Großvater auf dem Gewissen, ihn verraten und damit zum Tode verurteilt. Aber wer? Anhand dieser Frage verarbeitet Autor Maxim Biller literarisch die Geschichte seiner Familie. Dabei lässt er, inklusive sich selbst als Ich-Erzähler, sechs Familienmitglieder jeweils die Ereignisse aus ihrer persönlichen Sicht schildern. Sechs unterschiedliche Perspektiven – und damit „Sechs Koffer“, denn jede der Personen hat „unverarbeitete“ Erlebnisse zu tragen. Da ist die stets kränkelnde und traurige Mutter, die von Eifersucht beherrscht wird, der strenge und grimmige Vater, ein unnahbarer Intellektueller, der einfältige Onkel Dima, der seinen Mund nicht halten kann und im Gefängnis zum Informanten wird, seine unzufriedene Frau Natalia, stets der strahlende Mittelpunkt, doch im Innersten von der Sehnsucht nach Maxims Vater und Heimweh zerrissen und von KZ und Todesmarsch geprägt, sowie der andere, reiche Onkel Lev, der Karriere in der Schweiz gemacht hat und sich von der Familie fern hält. Und dann sind da der junge Maxim und seine Schwester, die Klammer ins Heute, die die Vergangenheit nicht loslässt. Alle außer den Geschwistern könnten der Denunziant des Großvaters sein und Biller lässt sich selbst nach dem Täter suchen. Dabei geht es vom Russland der 1960er Jahre über die Tschechoslowakei kurz vorm Prager Aufstand und der Emigration nach Deutschland bis in heutige Tage. Geschickt verwebt der Autor Tatsachen und das, was die jeweilige Person für die Wahrheit hält, und vermischt sie mit Dokumenten, wie Akten des russischen Geheimdienstes oder einem Liebesbrief der Tante.
Der Schriftsteller Maxim Biller, 1960
als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren und mit seiner Familie 1970
nach Westdeutschland geflohen, setzt sich in diesem Buch nicht nur mit der
Familiengeschichte, sondern auch mit dem Zeitgeschehen, dem Leben unter
kommunistischer Herrschaft, der Bevormundung und Unterdrückung, der Sehnsucht
nach Freiheit und den Aspekten von Verrat und Antisemitismus auseinander. Die Handlung
endet kurz vor der Aufklärung des Falls. Wer der Verräter war, darüber muss man
sich als Zuhörer seine ganz eigenen Gedanken machen. Und dabei ergeht es einem
wie den Mitgliedern der Familie: Jeder hat seine eigene Sicht auf die Dinge, entwickelt
seine eigene Wahrheit.
Gesprochen wird die Hörbuchversion von keinem geringeren als Christian Brückner – der Star des Hörbuchbereichs und Sprecher aller Sprecher – der mit seinem Hörbuchverlag „Parliano“ dieses Genre geprägt hat. Brückners Stimme ist im Grunde jedem durch Synchronisation, Werbung oder Hörbücher bekannt und als erfahrener Könner trägt er die Geschichte mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten einfach mitreißend vor.
21. Oktober 2019
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