OvW Hörbuch Blog
In Bernhard Schlinks neuem Roman „Olga“ wird dem Leser ein Frauenschicksal des letzten Jahrhunderts vorgestellt, erzählt aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln, die erst zusammen als Ganzes die Person deutlich werden lassen. Wunderbar feinfühlig gelesen und interpretiert von Schauspieler Burghart Klaußner.
Der Roman zeigt eine Frauenbiographie, wie es viele gab zwischen 1880, zwei Weltkriegen und der jungen Bundesrepublik. Trotzdem ist das Leben von Olga Rinke anders, denn sie versucht ihren Lebensweg aktiv selbst zu gestalten, satt sich passiv in die Normen der Gesellschaft zu fügen. Schranken gibt es in Olgas Leben um überwunden zu werden. Vor der Jahrhundertwende in armen Verhältnissen geboren, verliert sie früh ihre Eltern und wächst in den deutschen Ostgebieten bei der lieblosen Großmutter auf. Das Kind ist eigenwillig und starrsinnig, verfolgt entschlossen seinen Weg, denn es will einen Beruf erlernen, Lehrerin werden. Aus der Jugendfreundschaft der armen Waisen mit dem reichen Gutsbesitzersohn Herbert wird nach und nach tiefe Liebe und eine feste Beziehung. Wenn auch keine in traditionellen Sinn, denn Herberts Eltern verweigern eine Heirat mit Olga, diese geht in ihrem Beruf auf und Herbert sieht sich sowieso eher als Abenteurer und Entdecker, denn als treusorgender Ehemann. So geht jeder der beiden seinen Weg, der dennoch immer fest mit dem des anderen verbunden bleibt, bis Herbert von einer waghalsigen Expedition nicht mehr zurückkommt. Olga muss mit dem Verlust klarkommen, kümmert sich um ihre Schüler und besonders liebevoll um den Nachbarsjungen Eike. Als sie nach einer Krankheit taub wird, haben die Nazis einen Grund mehr die unbequeme Lehrerin zu entlassen. Nach Kriegsende und Vertreibung fängt Olga ein neues Leben als Näherin in Heidelberg an. Hier trifft sie auf den kleinen Jungen Ferdinand und zwischen beiden entsteht über die Jahre eine tiefe Freundschaft, fast Seelenverwandtschaft, die bis zu Olgas aufsehenerregendem Tod 1971 reicht – und darüber hinaus.
Geschickt spielt der erfolgreiche deutsche Schriftsteller Bernhard
Schlink, der mit seinem Buch „Der Vorleser“ weltweit bekannt wurde, mit den verschiedenen
Perspektiven auf seine Protagonistin und beleuchtet ihr Leben aus drei unterschiedlichen
Blickwinkeln. Wird in Teil 1 des Buches die Geschichte von Olga und Herbert aus
ihrer beiden Sicht erzählt, schließt sich in Teil 2 der inzwischen alte
Ferdinand als Ich-Erzähler an. Er hatte als Kind die reife Olga kennenlernt und
schildert seine Vergangenheit mit ihr. Bereits hier schließen sich Lücken des
ersten Teils, doch das Gesamtbild ergibt sich mit dem dritten: Ferdinand liest
als alter Mann Briefe, die Olga postlagernd an den verreisten, später
verschollenen Herbert schrieb und die die Geheimnisse ihres Lebens aufdecken. So
ergibt sich am Ende ein rundes Bild.
Sehr einfühlsam gelesen wird das Buch vom deutschen
Schauspieler Burghart Klaußner, den man aus Filmen wie „Der Vorleser“ oder „Das
weiße Band“ kennt, und der sich auch als Hörbuchsprecher einen Namen gemacht
hat. Ist man zunächst noch überrascht, dass Olga von einem Mann interpretiert
und alle drei unterschiedlichen Teile nur von einer Person gesprochen werden,
geht das Konzept am Ende auf: Klaußner moduliert gekonnt seine Stimme, aus ihm
spricht mal Olga, mal Herbert, mal zeigt er den zarten, weichen Charakter der
Personen, dann wieder Stärke und Entschlossenheit. Auch als Ich-Erzähler
Ferdinand nimmt er den Zuhörer ebenso mit wie als Interpret der Briefe Olgas im
letzten Drittel. Wenn man nach einer gewissen Verunsicherung nach Teil 1 an der
Erzählung dranbleibt, lernt man als Zuhörer eine starke Frau vor der Leinwand
der deutschen Geschichte des letzten Jahrhundert kennen.
1. Oktober 2018