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Der Filmvorführer

Eine Freundschaft in Georgien

Von Cordelia Albert

Fast dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks stehen die Länder dieses Gebiets zunehmend im Interesse des Westens. Man will mehr über die Geschichte, die Entwicklung, die Kultur und die Menschen erfahren, der Tourismus boomt. Eines dieser Länder ist Georgien, der eurasische Staat in Transkaukasien an der Grenze zwischen Europa und Asien. Aktuell entwickelt es sich als Publikumsmagnet – nebst Wander- und Kulturreisen oder landestypischen Kochbüchern. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Georgien in diesem Jahr Partnerland der Frankfurter Buchmesse ist und die Werke georgischer Literaten im Fokus stehen.

So wie Aka Morchiladze, einer der bedeutendsten und meistgelesenen Gegenwartsautoren Georgiens, von dem in diesem Jahr gleich vier seiner Bücher in Deutschland herausgebracht wurden, darunter z.B. die „Reise nach Karabach“ und sein aus dem Jahr 2009 stammendes Werk „Der Filmvorführer“, in dem die große Freundschaft zweier Männer vor dem Hintergrund der neueren Geschichte Georgiens erzählt wird.

Das Buch beginnt in der Hauptstadt Tbilisi. Der ausländische Arbeitgeber Peter Goldsmith ist fassungslos, dass sein Fahrer Beso, ganz untypisch für ihn, spurlos verschwunden ist. Doch Beso hat ihm ein kleines Schreibheft hinterlassen, in dem er in einfachem Englisch rückblickend die Geschichte seines Freundes erzählt – des Filmvorführers Islam Sultanow. Dieser, von allen nur „der Tatar“ genannt, war ursprünglich ein Sultan, der Sohn des Khans von Kirbal und Erbe des Kalifats. Doch nach der Ermordung des Vaters und der Annexion des Landes durch Russland floh er nach Georgien, wo er mit 17 Jahren verhaftet und für 20 Jahre nach Sibirien verbannt wurde. Fast vierzigjährig kommt er in die georgische Stadt Kutaissi und arbeitet dort als Filmvorführer. Der kleine, vaterlose Junge Beso, ein großer Fan des Kinos und als einziger völlig unvoreingenommen gegenüber dem „Tataren“, fühlt sich zu Islam hingezogen und zwischen beiden entsteht über die Jahre eine immer enger werdende Beziehung, die weit über Freundschaft hinaus fast eine Vater-Sohn-Verbindung ist. Und wie ein Vater wacht der lebenserfahrene Islam über den unbeholfenen Beso, beschützt und umsorgt ihn und gibt ihm am Ende das Geheimnis seiner Herkunft preis, weshalb Beso sich auf die Reise macht.

Dabei ist die Geschichte dieser Freundschaft eng mit der des Landes verbunden: der furchtbaren Unterdrückung durch Russland und die Kommunisten, des Widerstands und der Unabhängigkeit, der vielen bewaffneten Kämpfe, des Chaos, der Gewalt und Korruption und des ständigen Leids der Bewohner. Aka Morchiladze lässt seinen Beso die Geschichte in einfachen Sätzen aus der Sicht eines naiven, fast einfältigen Menschen erzählen, was aber die innere Struktur Georgiens, das Leben der Menschen und die für uns oft unvorstellbaren gesellschaftlichen Machtstrukturen oder Handlungen, wie z.B. arrangierte Eheschließungen, umso erlebbarer macht. Man nimmt Anteil an den Schicksalen und wird sich bewusst, wie zerbrechlich und instabil in der heutigen Zeit selbst auf dem Gebiet Europas die Gesellschaftssysteme sind. Eine wertvolle Geschichte, die die Bedeutung von wahrer Freundschaft unterstreicht und die Lust macht, sich weiter mit dem Land Georgien zu beschäftigen.    

11. Oktober 2018

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