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Kanada

Verlorene Vergangenheit, verlorene Zukunft

Von Cordelia Albert

Auch, wenn der Name identisch ist, dieses Buch hat nichts mit dem Land Kanada zu tun. Vielmehr ist es die Bezeichnung für einen Ort, an dem ein Mann während des Krieges war. Und genauso seltsam wie dieser Fakt mutet zunächst auch das Verhalten des Mannes an: Nach Kriegsende kehrt er zurück in seine zerstörte Heimatstadt, in sein Haus, seine Wohnung. Vom Nachbarn, einem pragmatischen und geschäftstüchtigen Mann, wird er herzlich empfangen. Der Nachbar freut sich ihn zu sehen und zusammen mit seiner Frau versorgt er den offensichtlich schwer von Kriegsverbrechen gezeichneten Rückkehrer. Doch die Freude währt nicht lange, denn der Mann verhält sich nicht, wie man es erwartet, sondern er ist eigenartig, verstört und mit sich beschäftigt. Alles scheint ihm egal. In seiner großen Wohnung richtet er sich in seinem ehemaligen Büro ein, das er fortan nicht mehr verlässt. Stattdessen hält er Zwiesprache mit sich selbst und reflektiert damit vergangene und aktuelle Entwicklungen auf seine Art. Schreckliche Dinge sind passiert.

Das Buch des 1984 in Spanien geborenen Autors Juan Gómez Bárcena ist ein Meisterwerk der Sprache und der Komposition. Bárcena lässt seinen Protagonisten dessen Leben in der Zwiesprache mit sich selbst erzählen, doch nicht als Ich-Erzähler, sondern in der “Du”-Form. Diese schafft Distanz zu ihm selbst und dem, was ihm passiert ist. Die verletzte Psyche erkämpft sich so ihren eigenen (Überlebens)Raum. Und während der Mann seinen Gedanken nachgeht, erfährt der Leser nach und nach von den Geschehnissen, den grauenhaften Erlebnissen und dem schrecklichen Ort “Kanada”. Gleichzeitig wird auf der aktuellen Handlungsebene die spannende Nachkriegsgeschichte eines Landes nachgezeichnet, das wir am Ende ebenso kennen wie den Mann mit verlorener Vergangenheit und verlorener Zukunft - wahrlich kein leichter Stoff.

Absolut faszinierend ist dabei, wie der Autor, der schon in seinem Erstlingswerk "Der Himmel von Lima" die Handlung aus der Sicht zweier junger Schriftsteller beschrieb, auch hier in wunderbar komponierten Sätzen komplett aus der "Du"-Perspektive und den wirren Gedanken einer kranken Psyche heraus ein Gesamtwerk schafft, das ein Leben und die politische Entwicklung eines Landes nachvollziehbar erzählt. Denn gerade der so geschaffene distanzierte Abstand zum Geschehenen macht dieses umso emotionaler und ergreifender. Dieses Buch ist ein wertvolles Kleinod.

10. Juli 2019

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