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Wer angefangen habe, dieses Buch zu lesen, der wolle es auch beenden, und der werde auch noch lange daran zurückdenken, schrieb eine Kritikerin über dieses Werk. Recht hat sie – nach der Lektüre kann man ihr nur zustimmen. „Denen man vergibt“ ist ein wunderbares Buch, spannend und voller menschlicher und gesellschaftlicher Abgründe. Es geht um verlorene Liebe, Vorurteile und festgefahrene Denkstrukturen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Londoner Ehepaar um die 50: David Henninger, ein wohlhabender Arzt, und seine Frau Jo, eine erfolglose Kinderbuchautorin. Ihre guten Tage liegen längst hinter ihnen, beruflich, aber auch als Paar. Desillusion, Verständnislosigkeit und Streit dominieren ihren Alltag ebenso wie die Alkoholabhängigkeit des Mannes. Die Beiden sind mit dem Auto auf den Weg nach Marokko zu Davids Schulfreund Richard, der mit seinem Partner Dally abgelegen im Süden des Landes wohnt und zu einem Partywochenende im Stil des „Großen Gatsby“ eingeladen hat. Auf der Reise dorthin passiert ein folgenreicher Unfall: Die Henningers überfahren alkoholisiert und streitend einen jungen Marokkaner. Panisch packen sie den Toten ins Auto und nehmen ihn mit zu ihren Gastgebern. Dort prallen Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die desinteressierten Ausländer, die alles verharmlosen wollen, treffen auf Einheimische, die Vergeltung fordern. Und die Familie des Toten verlangt Rechenschaft vom Fahrer.
Der englische Schriftsteller Lawrence Osborne, geboren 1958, lebte in verschiedenen Ländern und arbeitet als Autor und Reporter. Auf einer Marokko-Reise in die Berge kam ihm die Inspiration zu seinem Roman „Denen man vergibt“. Detailliert beschreibt er darin nicht nur die wunderschöne Landschaft des Landes, sondern auch das Leben der Menschen. Im Buch stellt er die Armut und Perspektivlosigkeit der Einwohner der Dekadenz und Überheblichkeit der Reichen aus der westlichen Welt gegenüber. Dabei zeigt er ungeschönt die Vorurteile beider Seiten und beschreibt, wie die Menschen darin gefangen sind: Die Mehrheit von ihnen denkt das Schlimmste vom Anderen und der Autor lässt sie das auch sehr direkt aussprechen, was ebenso eine Stärke von ihm ist, wie die fein gezeichneten Studien der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Abgründe. Dabei setzt Osborne den Fortlauf der Handlung aus der Erzählung verschiedener Personen zusammen. Jede hat ihre ganz eigene, für sie völlig reale Sicht auf die Dinge, die andere Akteure aber komplett anders einschätzen. Zusätzlich baut der Autor Zweifel an den Aussagen der Erzählenden ein, denn es könnte auch sein, dass sie lügen. Deshalb ist für den Leser nicht immer alles klar zu durchschauen und gerade das gibt der ohnehin schon spannenden Geschichte zusätzliche Würze.
Das gilt auch für das Ende des Buches – es ist gut überlegt und überraschend. Klar ist, was passiert ist, und doch hat man jede Menge Freiraum für eigene Spekulationen und die Einschätzung des Geschehenen. Man wird lange darüber nachdenken.
19. Januar 2020
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